Spiritualität 2024


August - Dezember 2024


Der Innere Weg

© NiseriN – istockphoto.com
© NiseriN – istockphoto.com

Autor: Joachim Barteit


Die ersten 25 Jahre meines Lebens beschreiben einen – äußeren - Weg, den die meisten von uns kennen. Man tut das, was man von Kindesbeinen an gelernt hat, einschließlich der Vorstellung, einiges oder vieles anders machen zu wollen, was man über die Eltern, Schule, Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Religion im Laufe eines Lebens gelernt hat. 

Mit dieser inneren Software versucht jeder Mensch sein eigenes Glück zu meistern und sein Leben in den Griff zu bekommen. Bis zu dem Moment, wo wir scheitern – wo es nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe, oder wo vielleicht alles in meinem Leben in eine andere Richtung geht und ich es auf keinen Fall so WILL, oder dass sogar alles in meinem Leben zusammenbricht.

 

Wir haben gelernt, in diesen Situationen entweder die Schuld dafür bei anderen zu suchen (die Eltern, Lehrer, Partner, Chef, die Politik, die Situation oder Gott) oder wenn wir etwas bewusster sind, die Schuld bei uns selbst zu suchen. 

Dann sagen wir uns – vielleicht war ich nicht gut genug, habe nicht aufgepasst, hab etwas nicht gesehen, gekonnt oder gewusst, hab mich nicht genügend angestrengt, war nicht wach genug, das passiert mir nie wieder – was auch immer. Und jetzt versuchen wir es natürlich BESSER zu machen und geben dafür wieder alles oder gehen in den Gegenpol, wo wir uns einrichten in der Verweigerung, Resignation, Krankheit o.ä..  

Und dieses Spiel - mich ständig zu verbessern, mein Leben doch noch nach meinen Vorstellungen und Träumen hinzubekommen - können wir unser Leben lang spielen.  Aber WER spielt hier eigentlich? WER ängstigt und quält mich, und lässt mich leiden?

 

Um diese Frage für mich zu beantworten ist es unabdingbar notwendig, innerlich ANZUHALTEN. Dafür ist die Erfahrung des Scheiterns sehr gut – es ist ein Moment, wo ich AUFGEBE – wo ich LOSLASSE, wo ich mich HINGEBE an das, was ist. An diesen Moment des Seins. Es ist so, wie es ist – und nicht anders. Und das ist gut so!  ICH gebe meinen Eigenwillen auf und kann mit dem sein, was ist. 

Die einzig freie Wahl, die ich hier habe, ist dagegen anzukämpfen und Nein zu sagen. Mein spiritueller Lehrer OM C. Parkin sagt an dieser Stelle: „Der freie Wille ist die Illusion der Macht, Nein sagen zu können. Dem Leben ist es egal, ob du es annimmst oder zurückweist“.

 

Hier beginnt der -Innere Weg-!  

Zu sehen, wo stehe ich innerlich wirklich? Bin ich bereit für das Neue, meine alten Vorstellungen, Wünsche und Träume loszulassen und mich dem Leben hinzugeben, das ich noch nicht kenne? Bin ich bereit Zorn, Angst und Schmerz zu fühlen, die auf diesem inneren Weg vielleicht auftauchen? Bin ich bereit für das nackte Leben oder will ich nur das bequeme und scheinbar sichere Über-Leben? Bin ich bereit, aufzuwachen - aus meinem Traum? 

In der Weisheitslehre wird der „äußere Weg“ als die Horizontale beschrieben und der „innere Weg“ als die Vertikale. Wenn ein Mensch nur auf der horizontalen Ebene lebt, ist er seinem denkenden, konditionierten EGO-Geist ausgeliefert als Sklave seiner Selbst. Bei allem, was er macht, wird er in erster Linie um sein körperlich-geistiges Ich-Überleben kämpfen. Das EGO ist in erster Linie nur am Erhalt seiner Selbst interessiert und vielleicht in 2. Linie am Frieden in der Welt.

 

Dass es sich selbst mit seinem Eigenwillen im Wege steht, kann das Ich durch seine Identifikation mit seinen Überlebenskonzepten nicht sehen. Es ist ein blinder Fleck. Und gleichzeitig werden diese Überlebenskonzepte in die Welt projiziert und man schafft sich ein Spinnennetz von Welten, in denen man sich letztlich selbst verliert, nicht wieder herausfindet, darin leidet und glaubt, dieses Leiden noch verstecken zu müssen, um nicht als Versager in seinem Leben dazustehen. 

Der Überlebenskampf bei fast 8 Milliarden Menschen wird stärker und dadurch das Leben schneller, technischer und oberflächlicher. Das krampfhafte Festhalten an inneren Bildern, Narrativen und Glaubens- und Wissenskonzepten nimmt zu. Das menschliche Fühlen und Mitfühlen zu meinem Nächsten nimmt ab. Und diese Tatsache spiegelt sich, vor allem seit den letzten Jahrhunderten, auf der persönlichen und kollektiven Ebene unseres Bewusstseins verstärkt wieder. 

 

Osho – ein indischer Mystiker- sagte dazu: „Entweder lernt die Menschheit jetzt Meditation oder begeht kollektiven Suizid.“ 

Die Horizontale des äußeren Weges ist nicht falsch. Nur, wenn wir ausschließlich glauben, das ganze Leben bzw. Überleben spielt sich auf dieser horizontalen Autobahn ab, und ich muss mithalten und mich selbstbehaupten in allen Lebenslagen, dann erinnere ich mich an das Zitat von Osho. 

Der „Innere Weg“ ist ein vertikaler Weg der Meditation, der Bewusstheit, der Verinnerlichung und Selbstreflektion, der Selbsterforschung, der Selbsterinnerung und der Frage: Wer bin ich wirklich? 

 

Die innere Verbindung zu den Wurzeln unserer Selbst können wir wieder aufnehmen und uns dadurch nähren lassen, unserer Selbst bewusst zu werden, im Hier und Jetzt Sein, Liebe und Vertrauen in uns Selbst erfahren und damit wahres Glück, völlig unabhängig von der äußeren Welt und den Situationen, in denen wir uns vermeintlich befinden. 

Wenn die Horizontale und die Vertikale in uns eine Integration erfahren, wir bereit sind, mit all dem zu sein, was das Leben mir als Mensch und Seele offenbart und offen in jedem Moment für den eigenen göttlichen, kreativen Ausdruck meiner Selbst zu sein, dann kann ich wunschlos glücklich sein, das - wie die alten spirituellen Meister sagen - unser Geburtsrecht ist. 

Was es mich kostet, ist der bedingungslose Wunsch nach Wahrheit – ehrlich zu mir Selbst zu sein, mich ernst zu nehmen mit dem, was ich fühle und bereit sein, mich mitzuteilen und zu zeigen. Aufzuhören, mich und andere zu täuschen, stattdessen mich zu fragen, was mein innerster Herzenswunsch ist. 

Seit 20 Jahren bin ich Schüler von dem spirituellen Meister und Mystiker OM C. Parkin und gehe den -inneren Weg- in Liebe und Dankbarkeit. 

Joachim Barteit - www.hausdeshorus.de , E-Mail: JoachimBarteit@t-online.de 


April - August 2024


Liebe – Die Essenz des erwachten Herzens

© Stephen Brown – pixabay.com
© Stephen Brown – pixabay.com

Autor: A. H. Almaas

Die Liebesbeziehung der Seele

 

In diesem Buch werden wir einen Aspekt unserer Arbeit erforschen, dem ich mich normalerweise indirekt nähere: der Liebe. Ich ziehe den indirekten Weg vor, weil der Begriff »Liebe« in der Kultur im Allgemeinen und in vielen spirituellen Gruppen und Lehren im Besonderen häufig missverstanden oder sogar missbraucht wird. Das liegt zum Teil daran, dass wir alle möglichen Vorstellungen davon haben, was Liebe ist und was sie bedeutet. Wir verwenden das Wort ständig so, als wüssten wir genau, was Liebe ist und worum es dabei geht, aber in Wirklichkeit hat jeder von uns seine eigenen Vorstellungen. Das macht es schwierig, über das Konzept der Liebe zu sprechen und davon auszugehen, dass wir alle das Gleiche meinen. Im Diamond Approach betrachten wir die Liebe als ein Ergebnis der Aktualisierung der Essenz dessen, was wir sind, und nicht als etwas, an dem wir direkt arbeiten. Meine Hoffnung ist, dass wir so etwas über die wirkliche Natur der Liebe und ihre wahre Funktion in unserer Arbeit lernen.

Es ist klar, dass Liebe für alle Menschen wichtig ist, denn die Seele braucht Liebe auf eine grundlegende und fundamentale Weise. Wenn wir jedoch fragen: »Warum braucht die Seele Liebe?«, dann haben die meisten Menschen darauf keine Antwort. Sie wissen nur, dass sie sich danach sehnen. Sie möchten sie und sie brauchen sie auch. Sie wollen lieben und geliebt werden. Sie müssen Liebe geben und empfangen können. Sie brauchen die Erfahrung der Liebe. Aber warum? Das ist schwer zu sagen.

In gewissem Sinne ist Liebe für die Seele wie Sauerstoff für den Körper – und genauso lebenswichtig. Liebe ist ein grundlegendes Element, das die Seele für ihr Überleben und ihre Entwicklung braucht. Wenn die menschliche Seele keine Liebe erfährt, geht sie zugrunde. Sie verkümmert und stirbt. Erfährt sie nur wenig Liebe, dann ist ihre Entwicklung entsprechend eingeschränkt. Die Seele ist lebendiges Bewusstsein – sie ist keine Sache, das heißt, sie braucht Liebe als Teil ihrer Nahrung, um zu wachsen, zu reifen und das zu werden, was sie sein kann.

Wir werden auf verschiedene Weise deutlich machen, dass die Liebe ein notwendiger Grundbestandteil unseres »spirituellen Stoffwechsels« ist. Wir werden sehen, dass jeder Stoffwechsel eigentlich ein spiritueller Stoffwechsel ist. Alles im Leben – was immer wir tun oder erleben – wirkt sich auf das Wachstum und die Entwicklung der Seele aus. Das bedeutet »spiritueller Stoffwechsel«. Wir nennen ihn nur in verschiedenen Stadien unterschiedlich.

Wir wissen, dass wir Liebe brauchen. Alle Menschen wissen, im Geiste oder im Herzen, wie grundlegend wichtig die Liebe ist. Jeder sucht die Liebe. Jede spricht darüber. Und wenn jemand sagt, dass er sie nicht braucht oder will, ist es offensichtlich, dass er dagegen ankämpft, sie zu fühlen. Wenn uns jemand sagt: »Ich könnte mein Leben ohne Liebe leben«, dann wissen wir, dass das eine Lüge ist. Sollte es ihm gelingen, ein liebloses Leben zu führen, können wir sicher sein, dass es ein verkümmertes Leben ist.

Aber warum genau brauchen wir die Liebe für unser Wachstum? Was bewirkt sie für unsere Entwicklung, für unsere Seele? Wir haben alle möglichen Vorstellungen von der Liebe, aber wir werden höchstwahrscheinlich feststellen, dass wir keine präzise und genaue Vorstellung davon haben, was Liebe ist oder wozu sie dient. Eines der häufigsten Missverständnisse über die Liebe ist zum Beispiel, dass es bei ihr nur darum gehe, ein bestimmtes Gefühl zu haben. Wenn wir jemanden sehr mögen, nennen wir das Liebe. Wir sehen nicht, dass wir in dem Moment, in dem wir jemandem gegenüber Zuneigung empfinden – ein Gefühl, das wir als Liebe bezeichnen – vielleicht etwas tun, das diesem Menschen wehtut. Habt ihr schon einmal die Erfahrung gemacht, dass euer Partner zu euch sagt: »Ich liebe dich«, obwohl der Tonfall eigentlich bedeutet: »Ich liebe dich, auch wenn du es nicht wirklich verdienst»? In diesem Augenblick habt ihr euch wahrscheinlich ziemlich mies gefühlt, während euer Partner vermutlich überzeugt war, liebevoll zu sein.

Wir denken also häufig, dass Liebe ein Gefühl ist, und beziehen unsere Handlungen nicht in unsere Definition mit ein. Und selbst das Gefühl der Liebe ist selten vollständig. Das Wissen darüber, wie die Liebe sich ausdrückt – das Handeln aus der Liebe heraus – ist nicht sehr weit verbreitet. Dieser »Akt der Liebe« ist ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit, mit der wir hier beginnen.

Mein Interesse daran, über die Liebe zu lehren, entspringt nicht dem Wunsch, euch zu einem besseren Liebesleben zu verhelfen. Das mag die Folge sein, muss es aber nicht. Wir erforschen die Liebe, weil wir sie in ihrer grundlegenden und echten Form kennenlernen wollen. Das bedeutet, wir wollen herausfinden, wie die Liebe mit unserer spirituellen Entwicklung zusammenhängt. Was hat die Liebe mit unserem spirituellen Prozess zu tun?  Wir werden erkennen, dass all die Formen der Liebe, die wir brauchen, im Grunde die Tatsache widerspiegeln, dass wir Liebe für unser spirituelles Wachstum brauchen.

 

Die Tierseele und die menschliche Seele

Im Diamond Approach betrachten wir die Entwicklung der Seele in zwei Stufen: die der Tierseele und die der menschlichen Seele. In ihrem früheren Stadium, der Tierseele, agiert die Seele aus dem Begehren und dem Überlebenstrieb heraus durch Einsatz von Macht. Die Tierseele will ihre Wünsche befriedigen und ihre Bedürfnisse stillen und zwar in so großem Ausmaß und so schnell wie möglich, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Wenn ich von einer Tierseele spreche, dann meine ich nicht wörtlich die Seele eines Tieres, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Mensch die Seele auf animalische Weise erleben kann, und zwar viel ausgeprägter, als die meisten Tiere es tun. Die Sehnsüchte, Wünsche und Sorgen des Menschen um sein Überleben, seine Sicherheit und seine Nahrung übertreffen bei Weitem jede vergleichbare Manifestation im Tierreich. Was ich also mit der Tierseele meine, ist die Seele, die immer noch aus den egoistischen Motiven des Überlebens, der Bequemlichkeit, eines vollen Bauches und der Befriedigung von Wünschen heraus agiert.

Was macht es der Seele möglich, sich von der Tierseele weg und hin zu dem zu entwickeln, was wir die menschliche Seele nennen? Es ist die Liebe. Der Unterschied zwischen den  beiden Stufen ist, dass die menschliche Seele ein Herz hat. Je mehr Herz also ein Mensch  hat, als desto menschlicher nehmen wir ihn wahr. Je weniger Herz ein Mensch hat, desto stärker nehmen wir ihn als Tier wahr. Und er muss dabei nicht mal unbedingt auf vier Beinen gehen!

Was bedeutet es, dass die menschliche Seele ein Herz hat? Ein Herz bedeutet vor allem Liebe, denn die Liebe ist die Grundlage für das Herz. Wenn wir an das Herz denken, denken wir an die Liebe in all ihren Facetten. Im Gegensatz dazu ist ein Mensch, der auf der tierischen Ebene lebt, durch das motiviert, was man das erste Chakra nennt, das Energiezentrum, das auf das Überleben ausgerichtet ist. Auf dieser Ebene ist der Mensch eher animalisch ausgerichtet und neigt dazu, egoistisch und territorial zu handeln und zuerst an sich selbst zu denken. Dieser Fokus führt zu einer Lebensweise, die man das Überleben des Stärkeren nennt.

Je menschlicher du wirst, desto mehr Herz hast du und deine Beziehung zum Leben wird dazu neigen, Werte jenseits von Sicherheit, Schutz und Kontrolle zum Ausdruck zu bringen. Das Überleben selbst wird weniger wichtig als die Qualität dieses Überlebens. Überleben ist notwendig, aber es ist nur die erste Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, nicht das zentrale Anliegen. Die menschliche Seele hat einen gewissen Grad an Verfeinerung erreicht. Sie hat sich so weit entwickelt, dass sie eine gewisse Sensibilität aufweist, so dass die Lebensqualität wichtiger wird. (…)

Mit besserer Lebensqualität meine ich, dass sich unsere Seele so weit verfeinert hat, dass sie sich anderer Werte im Leben bewusst ist, mit ihnen in Berührung kommt und sich auf sie ausrichtet. Dann ist es uns wichtig, wie wir unser Leben leben, wie wir überleben. Das Leben selbst wird wichtig, nicht nur unser Leben. Ein Herz zu haben bedeutet dann, das Leben in anderen Formen und an anderen Orten wahrzunehmen. Wir werden sensibel für andere Menschen und Lebewesen. Wir nehmen Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer: Fördern wir das Leben oder zerstören wir es? (…)

Ein Herz zu haben bedeutet, dass wir uns selbst nicht mehr an die erste Stelle setzen. Unser Überleben und das Überleben des Lebens anderswo sind für uns ein und dasselbe geworden. Mitgefühl wird wichtig, Sorge und Selbstaufopferung werden wichtig. Wenn wir in unserem Herzen Liebe empfinden, aber dennoch einen anderen Menschen so behandeln,  als wäre er kein menschliches Wesen, dann haben wir noch kein Herz. Dann ist das eine Verzerrung, die es uns erlaubt, etwas zu erleben, was wir für Liebe halten, ohne tatsächlich ein Herz entwickelt zu haben. Und das ist eine der häufigsten Formen von Missbrauch der Liebe durch viele Menschen und Gruppen, die sich für spirituell halten. Die Liebe lässt uns sensibler werden für den anderen, weil ein neues Element hinzukommt: die Wertschätzung des anderen für das, was er ist. (…)

Wenn das Herz wirklich gereift ist, arbeitet die Liebe für ihr eigenes Überleben, das heißt, das Überleben der Liebe ist dann genauso wichtig wie oder sogar wichtiger als unser physisches Überleben. Das physische Überleben auf Kosten anderer macht dann keinen Sinn, weil ein solcher Egoismus dem Wesen der Liebe zuwiderläuft. Das Herz ist von Natur aus sensibel und auf das Leben eingestimmt. Es schätzt den Menschen und erkennt seine Kostbarkeit. 

„Liebe – die Essenz des erwachten Herzens“

 

A.H. Almaas

 

320 S., Books on Demand, 15 €

 

Textauszug mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 

Siehe auch unter „Wortwelten“ auf S. 54.