Archiv Nachhaltigkeit & Neue Wirtschaft


Dezember 2021 - April 2022


Bakterien – unterschätzte Alleskönner

© cocoparisienne - Pixabay.com
© cocoparisienne - Pixabay.com

Autor: Peter Wohlleben

Diskussionen mit Kritikern machen Spaß, und aus diesem Grund luden mein Sohn Tobias (Geschäftsführer der Waldakademie) und ich einen meiner größten Kritiker zu uns nach Wershofen ein. Schnell entflammte eine hitzige Diskussion, die schließlich in der Frage der Artenvielfalt im Wald mündete. Der Hochschulprofessor und Forstwissenschaftler, der das Treffen ausdrücklich unter Ausschluss von Medienvertretern stattfinden lassen wollte, war ein glühender Verfechter der Forstwirtschaft. Auflichtungen durch Baumfällungen seien eine Wohltat für die Natur, befand der Professor. Die Holzernte und damit die Erwärmung der Bestände durch Sonneneinstrahlung würden die Artenvielfalt signifikant erhöhen, so seine pauschale Aussage. Bei derartigen Behauptungen muss ich immer schmunzeln, denn nicht nur ich halte sie für grundsätzlich unwissenschaftlich. Um eine Erhöhung der Artenvielfalt festzustellen, muss man sie vorher genau ermitteln, sprich, alle Spezies zählen. Nach Durchführung einer Baumfällaktion kann man diese Zählung erneut durchführen und dadurch ganz einfach mathematisch feststellen, ob es in Summe mehr oder weniger Arten sind als vorher. Das Dumme ist nur, dass man nicht ansatzweise weiß, wie viele verschiedene Wesen in der heimischen Natur unterwegs sind. 

Eine Ahnung davon, welche Vielfalt sich allein im Boden tummelt, vermittelte die Untersuchung eines Teams um Kelly Ramirez von der Colorado State University in Fort Collins. Die Forscher zogen rund 600 Bodenproben im New Yorker Central Park und analysierten anschließend das darin enthaltene genetische Material. Sie fanden darin Spuren von 167 169 verschiedenen Arten – alles Kleinstlebewesen vom Kaliber von Bakterien, davon bisher unbekannt: rund 150 000! Ich frage gerne bei Begegnungen mit Forscherinnen und Forschern, wie sie die Zahl der unbekannten Arten einschätzen, und das Ergebnis dieser persönlichen Umfrage liegt bei ungefähr 85 Prozent. Es sind also nur geschätzte 15 Prozent aller Arten in Deutschland bekannt; global dürfte das Ergebnis in einer ähnlichen Größenordnung liegen. 

 

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ÖkoSchamanismus

Autor: Wolf Ondruschka

 

Wege zur Heilung von Mensch und Erde

 

Der alte Mann muß das Auto wohl zwei dutzend Mal angehalten haben, um auszusteigen und mit seinen Händen die kleinen Kröten einzusammeln, die über die Straße hüpften. Regen fiel, und ich sagte immer wieder: “Du kannst sie nicht alle retten. Steig ein, wir haben noch viel vor.” Doch er, die Hände voll feuchten, braunen Lebens, lächelte nur und sagte: “Auch sie haben noch viel vor.” Joseph Bruchac, Abenaki

 

'Ökologischer Schamanismus' ist eigentlich eine Tautologie, ein hölzernes Holz, denn von Natur aus ist Schamanismus ökologisch. Sein Entstehen ist kaum vorstellbar ohne das Verständnis einer tiefen Verbundenheit des Menschen mit der Natur – denn alles ist mit allem verbunden, weil alles Seele  besitzt. Und dies ist kein Glaubenssatz: Menschen, die den schamanischen Weg gehen, machen diese Erfahrung, die sie keineswegs als “übernatürlich”, sondern als zutiefst natürlich erleben.

 

Der besondere Beitrag des Schamanismus zum großen Thema der ökologischen Heilung besteht darin, sein Wissen zur Verfügung zu stellen und Orientierung zu geben. Welchen Sinn hätte die Renaissance dieser uralten spirituellen Tradition, wenn sie nicht gebraucht würde? Die Menschheit findet bisher die scheinbar einzige Antwort auf die bedrohliche ökologische Situation in technisch-materieller Hinsicht. Immerhin, aber viele Menschen haben die berechtigte Befürchtung, dies sei zu kurz gedacht.

 

Ein Weg mit Herz

Wie kann es gelingen, die Sorge für unseren Planeten zur Herzensangelegenheit zu machen und sie vom Ballast menschenzentrierten Denkens zu befreien? Saint-Exupery sagt: “Wenn du Menschen dazu bringen willst, ein Boot zu bauen, dann wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem Meer.” Wie können wir also die Sehnsucht nach einer wirklich heilen Welt wecken, damit die Zerstörung aufhört?

 

Moderne Schamanen können sich dazu aufgerufen fühlen, das Bewußtsein für ein gleichberechtigtes Nebeneinander aller Lebensformen zu wecken: Unser Herz muß berührt sein, denn wir können kaum Gutes bewirken, wenn wir aus einem überwiegend intellektuellen Verständnis handeln, das bemüht ist, die Dinge nach den eigenen Vorstellungen zu richten. Der Intellekt erreicht nicht jene tiefseelischen Bereiche, in denen heilende Transformation stattfinden kann, während zeremonielle Praxis diesen Zugang auf oft verblüffend einfache Weise erlaubt. Im Artikel “Gesundheit für Mensch und Erde – der schamanische Weg” (Achtsames Leben, Aug – Dez 2020) berichtete ich über einige beeindruckende Beispiele heilend-zeremonieller Zusammenarbeit mit den Naturkräften.

 

Leben im Gleichgewicht

Die Stille des Lockdowns vergangenes Jahr brachte sehr viele Menschen gerade der wohlhabenderen Länder zu tieferen Einsichten und machte deutlich, wie kritisch unser täglicher Lebensstil für die Erde ist: Was wir der Erde nehmen, verlieren wir selbst auch, aber was wir ihr geben, erhalten wir persönlich und als Menschheit zurück – und dies ist, siehe oben, mehr als nur ein schöner spiritueller Kalenderspruch. Der Huichol-Schamane Matsuwa sagt: “Ich kann sehen, dass viele mit ihrem eigenen kleinen Leben so beschäftigt sind, dass sie nicht genügend Kraft haben, um ihre Liebe bis zur Sonne hoch, ins Meer hinaus oder in die Erde hinein reichen zu lassen … Sie vergessen die Naturelemente, vergessen die Quelle ihres eigenen Lebens … Diese Dinge sollte man üben … Eines Tages wird dir das Meer ein Herz geben. Das Feuer wir dir ein Herz geben. Die Sonne wird dir ein Herz geben.” Aus: “Herz des Nordens”, Ailo Gaup

 

Wenn wir der Erde zuhören, wird uns das verändern. Weil Menschen zu wenig Erdenergie aufnehmen, gibt es all das Unheil. Letztlich ist eine Entscheidung zu treffen: Es beginnt bei mir und bei dir, oder es beginnt überhaupt nicht.

Siehe auch www.medizinradgeber.de und “Geh den Weg des Schamanen” von Wolf Ondruschka bei 'Neue Erde',

erhältlich bei www.buchhandlung-plaggenborg.de .


August - Dezember 2021


Besonders: Schmetterlinge

Autor: Michael Altmoos 

Wir Menschen blicken auf Schmetterlinge. Wie aber sähen diese selbst die Welt? Wechseln wir die Perspektive und nehmen die uns ungewohnte Sicht von Faltern ein. (...) 

 

Tagebuch eines Tagpfauenauges: normal unnormale Enthüllungen 

Sensation! Im Steinbruch Staudernheim, »Nahe der Natur«, wurde das Tagebuch eines Tagpfauenauges (Inachis [Aglais]io) entdeckt. Wie es hinterlassen und entziffert wurde, darüber schweigen die Experten. Hier die Übertragung in unsere Schrift:

25. Mai Ei vorbei. Ich bin da als Räupchen. Hunger!

26. Mai Bin nicht allein, wir sind viele, alle weiß-grün. Doch viele Eier blieben zu. Man munkelt was von Parasiten. Habe Angst. Aber noch mehr Appetit. Super Brennnessel, schön warm in der Sonne. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen. 🦋 Brennesselecke – S. 61

30. Mai Fühle mich verspannt. Haut muss weg. Ich wachse schnell.

1. Juni Heute hat es Theo und Trine erwischt. Vom Himmel hoch, da kam es her. Mein Gott, ein Schnabelmonster! Obwohl wir doch für die als Raupen nicht wohlschmeckend sind. Das müssen die doch wissen! Na ja, die Ausbildung der Monster ist wohl auch nicht mehr das, was sie mal war.

3. Juni Habe Riesenhunger, den ganzen Tag, jeden Tag.

6. Juni Wir sind jetzt graubraun. Gespinstbau angesagt. Wir überziehen die Brennnessel. Schön kuschelig.

 

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Ein Stadtmensch im Wald

Autor: H.D. Walden (Linus Reichlin)

 

Als die Seuche ausbrach, zog ich mich ins Ruppiner Wald- und Seengebiet zurück. Es ist eine Gegend voll stiller Vergangenheit, die sich weniger an historischen Baudenkmälern zeigt als an der Weite des Landes, durch das lange Alleen von ehrwürdigen Bäumen führen. Die einst– und nicht nur einmal– verwüsteten Landstriche hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm nach dem Dreißigjährigen Krieg mit Kolonisten aus der Schweiz peubliert. Deren Nachfahren leben heute in idyllischen Straßendörfern und verkaufen Eier an die vorbeifahrenden Touristen aus Berlin, die ihnen an Freundlichkeit nicht das Wasser reichen können. Weite, hügelige Äcker, deren Trockenheit portugiesische Ausmaße angenommen hat, und poetische Wälder prägen die Landschaft, in der man beim Wandern über Stunden keinem Menschen begegnet, was während einer Epidemie ein sorgloses Durchatmen erlaubt. In den Nächten spannt sich über die von strohgelbem, durstigem Gras bewachsenen Weiden ein grandioser Sternenhimmel, der in die Tiefe des Universums blicken lässt oder ließe, wenn es nachts wegen der sandigen Böden nicht fast immer saukalt wäre. 

 

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„Jeder Mensch…“ - für neue Grundrechte in Europa

© Florian Pircher – pixabay.com
© Florian Pircher – pixabay.com

AutorInnen: Stiftung Jeder Mensch e.V.

 

Europäisches Parlament, Europäische Kommission, Regierungen der EU-Mitgliedstaaten 

Diese Initiative wird von Stiftung Jeder Mensch e.V. organisiert. 

 

Wir fordern sechs neue Grundrechte

Ein Verfassungskonvent soll die Charta der Grundrechte der Europäischen Union um folgende Grundrechte erweitern:

 

Artikel 1 – Umwelt: Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben. 

Artikel 2 – Digitale Selbstbestimmung: Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten. 

Artikel 3 – Künstliche Intelligenz: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen. 

Artikel 4 – Wahrheit: Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.

Artikel 5 – Globalisierung: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden. 

Artikel 6 – Grundrechtsklage: Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

 

Warum ist das wichtig?

Die Politik scheint mit sechs der größten Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr zurecht zu kommen: Umweltzerstörung, Digitalisierung, Macht der Algorithmen, systematische Lügen in der Politik, ungehemmte Globalisierung und Bedrohungen für den Rechtsstaat. Wir alle wollen in einer gesunden und geschützten Umwelt leben. Wir wollen selbstbestimmt das Internet nutzen, ohne ausgeforscht und manipuliert zu werden, wir wollen intelligenten Maschinen vertrauen können und nicht durch sie bedroht werden. Wir haben gesehen, dass die Wahrheit und nicht die Lüge die Voraussetzung unserer Demokratie ist, und wir wollen die Ausbeutung von Menschen in einer globalen Welt beenden. Die alten Verfassungen Europas kennen auf die enormen Umwälzungen der letzten Jahre keine klaren Antworten.

 

Ferdinand von Schirach erklärt in seinem Buch JEDER MENSCH, welche Kraft in den Versprechen von Verfassungen steckt, ganz besonders in den darin verbürgten Grundrechten. Er schlägt sechs neue Grundrechte vor, um die europäische Verfassung zu erneuern. 

Für einzelne Länder sind die Herausforderungen zu gewaltig. Diese Grundrechte nehmen deshalb die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam in die Pflicht. Neue Rechte sind dazu besonders geeignet. Denn sie sind nicht nur Versprechen, sie sind auch Instrumente, um diese Versprechen durchzusetzen. Jeder Mensch kann sie einklagen. Menschen haben das überall getan, wo es möglich war. Sie erkämpften vor Gericht die Gleichbehandlung, verteidigten ihre Meinung, schützten Versammlungen, retteten Leben oder erstritten einen würdevollen Tod.

 

Wir brauchen weitere dieser mächtigen Instrumente, um unsere Zukunft in Europa zu gestalten. Wir brauchen sechs neue Grundrechte für Europa! Wenn Sie das ebenso sehen, bekennen Sie sich dazu mit Ihrer Unterschrift!

 

Mehr Info dazu: https://www.jeder-mensch.eu/informationen . Siehe auch bei „Wortwelten“.

 


April - August 2021


24 wahre Geschichten vom Tun und vom Lassen

Hrsg.: Karsten Hoffmann, Gitta Walchner, Lutz Dudek

 

Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis

Was passiert, wenn nicht finanzieller Erfolg, sondern der Beitrag zum Gemeinwohl zur Orientierung wirtschaftlichen Handelns wird? Eine andere Wirtschaft ist möglich. 24 Beispiele zeigen, wie die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis gelebt werden und finanziell zum Erfolgsfaktor werden können.

 

Die Saat geht auf – Beispiel „Taifun Tofu“

Bild: © Taifun Tofu
Bild: © Taifun Tofu

1986 tat sich in einem Freiburger Keller Geheimnisvolles. Wolfgang Heck und Klaus Kempff versuchten, Tofu zu produzieren. Sie nahmen Sojabohnen, wässerten sie in einem großen Topf über Stunden, vermahlten sie mit Wasser, kochten das Gemisch im Dampfkochtopf auf und siebten die Faserstoffe heraus – so entstand eine eiweißreiche Flüssigkeit, die „Sojamilch”. Diese versetzten sie mit Gerinnungsmitteln, wodurch die „Sojamilch” ausflockte. Es entstand Molke und der hochwertige Tofubruch. Dieser wurde schließlich in feste Blöcke gepresst, und der Tofu war fertig. Als nach vielem Experimentieren so endlich – nach Wochen – alles passte, schafften sie es, zunächst vier Kilogramm Tofu in der Woche zu produzieren, den sie frisch auf dem Freiburger  Wochenmarkt verkauften.

 

Zwei junge Männer taten sich da zusammen, um ihr „eigenes Ding“ zu machen. Sie gründeten ein Unternehmen, das sich auf die Herstellung von Tofu konzentriert, ein eiweißreiches Produkt aus der Sojabohne, das seit Jahrhunderten in Asien bekannt ist. Die Marke Taifun war geboren. Kern der Idee war und ist es, einen positiven Bei-trag zur Welternährung zu leisten, der schon ein Jahrzehnt früher durch den Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums thematisiert wurde und heute aktueller ist denn je. Als  eiweißreiche Nahrung direkt aus der Sojapflanze leistet Tofu einen wichtigen Beitrag zur Welternährung. Viel aufwendiger ist es, Soja als Tierfutter zu verwenden, um Fleisch zu erzeugen. Der CO2-Fußabdruck ist bei der Fleischproduktion etwa zwanzigmal so hoch.(…)

 

Taifun-Tofu GmbH, rund 270 Mitarbeitende, 30 % Frauenanteil, 8 Auszubildende, 42 Jahre Altersdurchschnitt, 38,4 Mio. Euro Umsatz

 

Den aktuellen Taifun-Geschäftsführer Alfons Graf reizte neben der innovativen Produktidee das vom Unternehmensgründer Wolfgang Heck intendierte Anliegen, eine andere Art des Zusammenarbeitens umzusetzen. Die Maximierung des Umsatzes sollte nicht im Vordergrund stehen, vielmehr der Aufbau einer Arbeitskultur und Unternehmensorganisation, die auf die Mitarbeiter ausgerichtet sein sollte.(…)

 

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Geheimnisse der Hecken: Die Felsenbirne

Autor: Rudi Beiser

 

Wissenswertes aus der Botanik 

© Frank Hecker - mauritius images
© Frank Hecker - mauritius images

Die Gewöhnliche Felsenbirne (Amelanchier ovalis, Synonym Amelanchier rotundifolia) gehört zur großen Familie der Rosengewächse. Die Gattung Amelanchier umfasst 25 Arten, wovon die meisten in Nordamerika heimisch sind. Die Gewöhnliche Felsenbirne ist die einzige europäische Art. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet ist vor allem das Gebirge, wo sie in den Alpen bis auf 2000 m aufsteigt. Vielleicht kommen daher die Volksnamen „Gamsbeere“ und „Edelweißstrauch“. Sie wächst bevorzugt an sonnigen Südhängen auf Kalkfelsen. Man findet sie auch in lichten Eichen- und Kiefernwäldern. Der Name „Quandelbeere“ kommt vermutlich daher, weil die Felsenbirne, wie auch der Quendel (Thymus pulegoides), gerne an sonnigen felsigen Standorten wächst.

 

Der dicht verzweigte dornenlose Strauch wird ca. 3 m hoch und kann 70–80 Jahre alt werden. Die Zweige haben eine rotbraune Rinde. Die Blätter sind eiförmig und am Blattrand fein gesägt und vor allem wenn sie jung sind an ihrer Blattunterseite filzig behaart. Im Herbst verfärben sich die Blätter orangerot. Von April bis Mai brechen die weißfilzigen Blütenknospen auf. Der traubenförmige Blütenstand besteht aus 4–10 schneeweißen sternförmigen Blüten. Die zwittrigen Einzelblüten haben 5 längliche Kronblätter, die weit auseinanderstehen und unterseits behaart sind. In der Blüte sitzen 20 Staubblätter und 5 nicht verwachsene Griffel.

 

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Corona-Krise lässt naturnahes Gärtnern durch die Decke gehen

© Bernd Stahlschmidt
© Bernd Stahlschmidt

Autoren: NABU Niedersachsen

 

NABU Niedersachsen sieht historisch starken Trend und gibt Tipps

Die nun bereits ein Jahr währende Corona-Krise mit den Lockdowns und Kontaktbeschränkungen hat zu einer „Renaissance des Gärtnerns“ geführt, so der NABU Niedersachsen: Noch nie erreichten den Landesverband und seine Einrichtungen so viele Anfragen zu naturnahem Gärtnern wie in den zurückliegenden zwölf Monaten, berichtet NABU-Mitarbeiter Rüdiger Wohlers, der dabei einen besonderen Trend vermelden kann: „Sehr viele Menschen möchten im Garten oder Kleingarten ‚Natur einladen‘, möchten Lebensräume schaffen, ganz gleich, ob sie ‚Gartenanfänger‘ sind, die gerade erst ein Stückchen Erde übernommen haben, oder ob sie bereits seit Jahrzehnten gärtnern“, so Wohlers. „Wohl noch nie war die Sehnsucht nach einem kleinen Gartenparadies mit Rotkehlchen, Amsel, Igel, Eichhörnchen, Schmetterling, Biene und Co. so groß wie in diesen Monaten und Tagen.“

 

Der NABU-Aktive erklärt: „Auffallend ist, dass beispielsweise viel mehr gezielte Nachfragen nach Möglichkeiten, etwas für Wildtiere im Garten ganz konkret tun zu können, sich auf speziellere Themen beziehen als bislang. Dies zeigt sich etwa darin, dass direkt nach Bauplänen für Nisthilfen gefragt wird, die jenseits der allgemein bekannten ‚Meisenkästen‘ liegen, etwa für Kleiber, Baumläufer, Hausrotschwanz, Bachstelze, Rotkehlchen und Co. Und auch Gebäudebrüter wie Mauersegler und Schwalben spielen eine viel größere Rolle als früher“, freut sich Rüdiger Wohlers, und fährt euphorisch fort: „Über allen anderen Themen thront jedoch als Nummer Eins das Insektensterben. Die Menschen haben verstanden, wie existentiell bedrohlich die Situation für die Insekten und damit für uns Menschen ist. Und: Sie sehnen sich nach der kleinen Serengeti hinter dem Gartentor, nach dem Maikäfer ihrer Kindheit, nach dem wohl auch in Folge des Klimawandels rar gewordenen Kleinen Fuchs, dem Tagpfauenauge, nach der Libelle am Teich. So entstehen in diesen Tagen viele kleine Insektenparadiese, überall in Niedersachsen – und das ist gut so! Und durch all das bekommen auch Kinder wieder mehr Bezug zur Natur – eine wichtige Grundlage, denn der Grundsatz ‚Ich kann nur schützen, was ich kenne‘ gilt uneingeschränkt.“

 

Rüdiger Wohlers sieht im weiteren „Ranking“ der beim NABU Niedersachsen am stärksten abgefragten Gartenthemen den Igel, dessen stetigen Bestandsrückgang über Jahrzehnte in ganz Europa die Menschen durchaus bemerken. Möglichkeiten, Eichhörnchen zu helfen, artgerechte Vogelfütterung, die Anlage von Bruthecken für Vögel und kleiner Teiche sind die Topthemen der Menschen, die sich an den NABU wenden. „Aus vielen Anfragen der Menschen gehen auch Empörung und Ablehnung von Schottergärten und anderer Naturzerstörung, etwa durch zu starke Verdichtungen und Überbauungen in Städten und Dörfern hervor – die Menschen haben wirklich ‚die Nase voll‘ von Beton- und Asphaltorgien und seelenlosem Abstandsgrün in einstigen Gartenoasen, die zu Parkplätzen mit Kirschlorbeer und Schotter verwüstet wurden. Hier ist der Beginn einer breiten Gegenbewegung quer durch das Land erkennbar“, meint der NABU-Aktive.

 

Was seit zwanzig Jahren in Großbritannien als „Gardening for wildlife“ längst zur Volksbewegung wurde, beginnt sich laut Wohlers hierzulande nun auch Bahn zu brechen. „Die Corona-Krise wirkt als Beschleuniger und Verstärker, wie sich auch an der Tatsache zeigt, dass heute Kleingärten stärker nachgefragt werden und viele Menschen sogar in Zeitungsannoncen Privatgrundstücke suchen, um sich einen Garten als kleine Rückzugsarche schaffen zu können“, ist Wohlers überzeugt, dass sich der Trend fortsetzen wird. „Der Siegeszug der naturnahen Gärten als Volksbewegung wird weitergehen. Wir sind Zeugen eines fundamentalen Wandels hin zur ‚Einladung an die Natur‘, die vielleicht als historisch bezeichnet werden kann“, ist sich Rüdiger Wohlers sicher.     

 

Das vom NABU Niedersachsen angebotene, sehr umfangreiche Info-Paket „Gartenarche“ mit seiner Bauplansammlung für Nisthilfen, dem Mauersegler-Baubuch und den Broschüren „Gartenlust“ sowie „Bienen, Wespen und Hornissen“ bietet eine Fülle an Hintergründen und praktischen Tipps. Es kann angefordert werden gegen Einsendung eines 10-Euro-Scheins beim NABU Niedersachsen, Stichwort „Gartenarche“, Alleestr. 36, 30167 Hannover.


Dezember 2020 - April 2021


Zukunft für alle

Autoren: Kai Kuhnhenn, Anne Pinnow, Matthias Schmelzer u.a.

Stell dir vor, es ist das Jahr 2048. Wie bewegst du dich fort? Was isst du? Wie verbringst du deine Zeit? Wie und was arbeitet du? Und über deine eigene Situation hinaus: Wie könnte diese Zukunft aussehen? Wie kann sie gerecht, ökologisch und machbar sein - für alle?

 

Beispiel Ernährung & Landwirtschaft

2048 gibt es: gutes Essen für alle, lokale Wertschöpfung, Kreislaufwirtschaft, eine Vielfalt an Produktionsbetrieben, mehrheitlich Höfe & Handwerk

 

2048 gibt es nicht mehr: Hunger, Lebensmittelspekulation, Dumpinglöhne, Privateigentum am Boden, industrielle Landwirtschaft

 

Gutes Essen für alle 

Die Effizienzlogik beim Essen ist überwunden: Frische Lebensmittel sowie Grundnahrungsmittel sind offen zugänglich, und alle nehmen sich Zeit fürs Essen. Lokale und oftmals von den Nutzenden selbst organisierte Versorgungsmöglichkeiten erleichtern diese Zugänge, z.B. durch Gemeinschaftsküchen in Häusern, die Lebensmittelpunkte in Quartieren und kollektive Versorgung in Häusern des Lernens und Betrieben. Alle Lebensmittel werden weiterverteilt und verwertet, nichts wird einfach weggeworfen. Der Proteinbedarf wird vor allem durch pflanzliches Eiweiß gedeckt. Der Konsum von Fleisch und Milchprodukten ist wesentlich gesunken, und die verbleibende Tierhaltung wird umwelt- und tierwohlorientiert – also extensiv statt intensiv – betrieben. Alle Teile von Tieren werden verwendet („nose to tail“), nichts wird verschwendet. Städte und Dörfer sind essbare Orte, denn überall werden Lebensmittel angebaut und geerntet. Wir haben verstanden, dass Essen und die Herstellung von Lebensmitteln unser Leben bereichern; wir wertschätzen und feiern das. 

 

Vielfältige Betriebsformen 

Heute gilt das Prinzip allseitiger Fürsorge und eine Vielfalt landwirtschaftlicher Betriebsformen. Der Schwerpunkt liegt auf kleinen Strukturen wie Höfen und Handwerk. Kleinbäuerliche Strukturen sind divers – neben klassischen Familienbetrieben finden wir eine Vielzahl von Wahlfamilien, Kollektiven und Genossenschaften, die landwirtschaftlich tätig sind.

Landwirtschaft ist agrarökologisch, das heißt ökologisch langfristig, und zumeist kleinbäuerlich ausgerichtet. Fossile oder chemische Dünger und Pestizide, die ökologische Kreisläufe zerstören, werden nicht mehr eingesetzt. Um die komplette Nahrung ökologisch herzustellen, müssen zwar viel mehr Menschen in der Landwirtschaft arbeiten als Anfang des 21. Jahrhunderts, diese haben dafür aber gute Arbeitsbedingungen, mehr Zeit für ihre Tätigkeiten und mehr Kontakt zu ihren Abnehmer*innen.

Die Produzent*innen organisieren sich weitgehend selbst. Kleinteilige Strukturen wie gemeinschaftliche Hofläden und Verteilorte, Wochenmärkte und lokale Verarbeitungsketten ermöglichen regionale Versorgungsstrukturen. Genossenschaftsläden in Hand der Mitarbeiter*innen und Konsument*innen mit regionalen Produkten haben profitorientierte Supermärkte ersetzt. Die Lebensmittelpunkte entscheiden selbst, mit welchen Produzent*innen sie für ihre Versorgung kooperieren. Eine radikale Umverteilung von Boden und Kapital, beschlossen vom globalen Ernährungsrat, hat zu einem neuen Prinzip der Allmende geführt:

Das Privateigentum an Boden ist abgeschafft. Dafür wurden in fast allen regionalen Räten Nutzungsregeln beschlossen, die auf einen langfristigen Erhalt der Bodenfruchtbarkeit ausgerichtet sind. Auch landwirtschaftliche Produktionsmittel sind meist lokal vergesellschaftet und global vernetzt; sie werden gemeinschaftlich hergestellt, genutzt, repariert und weiterentwickelt. Lokale Saatgutzentren sind für alle zugänglich und in Netzwerken miteinander verbunden. Die für die Produktion nötigen Rohstoffe werden regional hergestellt. Insgesamt haben alle die Möglichkeit, Land zu bewirtschaften.

 

Kreislaufwirtschaft und Bodenerhalt

Jedes Zwischenprodukt und jeder einstige Abfall wird als Ressource verstanden, womit eine echte Kreislaufwirtschaft ermöglicht wird. Das heißt, auch menschliche Fäkalien dürfen mit entsprechenden Sicherheitsauflagen kompostiert werden – die Mischkanalisation gehört der Vergangenheit an. Damit werden Nährstoffkreisläufe geschlossen und Produktstandards garantiert, so dass Kompost sicher und nährstoffreich ist. 

Der Wert des Bodens ist anerkannt: Der Erhalt und die Verbesserung seiner Fruchtbarkeit werden großgeschrieben. Die Felder sind kleiner und fast nie unbedeckt, wodurch Bodenerosion deutlich sinkt. Der Aufbau von Humus leistet einen wichtigen Beitrag für eine ertragreiche agrarökologische Landwirtschaft und für die Bindung von Treibhausgasen. Die Artenvielfalt zu bewahren und zu fördern ist zentral für jede landwirtschaftliche Tätigkeit. Das bedeutet unter anderem keine Pestizide und Herbizide mehr, dafür viele Bäume, Hecken und Nischen für Insekten und Wildtiere sowie die Zucht alter und samenfester Sorten, die Bäuer*innen selbst vermehren können. Konzepte wie Agroforstwirtschaft, Permakultur und Terra Preta sind weiterentwickelt worden und finden Anwendung.

 

Spezialisierte aber relokalisierte Verteilung

Im Bereich der Verteilung und des Vertriebs existiert weiterhin eine große Arbeitsteilung und Spezialisierung mit viel Knowhow. Gleichzeitig reisen Produkte zwischen Acker und Teller nicht mehr um den Globus, sondern werden weitgehend lokal verarbeitet und verteilt. Ein großer Teil der Lebensmittel wird direkt von Produzent*innen für angebundene Nachbarschaften produziert, ohne dass dafür Geld fließt. Überall gibt es kleine Bäckereien, Metzgereien, Mühlen, Molkereien und ähnliches. Das gut ausgewählte Sortiment in den genossenschaftlichen Läden ist qualitativ hochwertig und kommt möglichst aus einem Radius von 200 Kilometern. Der Handel mit Produkten aus dem Globalen Süden wie Kaffee, Tee und Südfrüchten ist soweit beschränkt, dass Ernährungssouveränität an den Anbauorten gewährleistet ist und erfolgt nur unter fairen Handelsbeziehungen. Kinder und Jugendliche lernen früh, mit Lebensmitteln zu arbeiten und erlangen damit einen selbstverständlichen Bezug dazu. Dadurch steigt auch ihr Interesse, in diesem Bereich tätig zu werden.

 

2020 - Was es schon gibt

 

Aktionsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL): kämpft für eine kleinbäuerliche biologische Landwirtschaft. ‣ abl-ev.de

Netzwerk Solidarische Landwirtschaft: Setzt sich für die Verbreitung dieser Form von Landwirtschaft ein. ‣ solidarische-landwirtschaft.org

Nyéléni Netzwerk für Ernährungssouveränität: Weltweites Netzwerk für Ernährungssouveränität, aufbauend auf der Nyéléni-Erklärung von 2007. ‣ nyeleni.de

Schwarzwurzel: Der kollektiv geführte Mitgliedsbioladen in Leipzig Lindenau ist ein Beispiel, wie gemeinschaftliche Läden aussehen können. ‣ schwarzwurzel.org

Slow Food Youth Netzwerk: Weltweites Netzwerk von jungen Menschen für gute, saubere und faire Lebensmittel. ‣ slowfoodyouth.de

Animal Rights Watch: Organisation, die sich für die Abschaffung jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren einsetzt und biovegane Konzepte entwickelt. ‣ ariwa.org/biovegan

 

Warum ist die Zukunft nicht vegan

2020 wurde an vielen Orten darüber gestritten, ob die Zukunft der Ernährung vegan, also frei von tierischen Produkten, ist oder nicht. Fridays for Future und führende Wissenschaftler*innen sprachen sich dafür aus, denn eine bio-vegane kleinbäuerliche Landwirtschaft wäre klimaschonend und gesund. Doch für den Großteil der Bevölkerung gehörte Fleisch 2020 noch zum Alltag. In unserer Zukunftswerkstatt zu Ernährung haben wir deutlich formuliert, dass es ein Ende der Massentierhaltung geben muss und Fleischproduktion – wenn überhaupt – nur noch mit Tierwohl möglich sein darf. Ob Tiere und Fleisch zum essen Teil einer nachhaltigen Landwirtschaft sind, war aber kontrovers. Von allen Seiten gibt es viele Argumente, wir greifen hier nur einige davon auf.

Ein Hauptargument für einen Ernährungskreislauf mit Tieren ist, dass dadurch Grasflächen auch für die menschliche Ernährung zugänglich sind. Eine nachhaltige Nutzung von Grünland trägt zum Erhalt biologischer Vielfalt bei und kühlt gleichzeitig den Planeten. Gras bedeckt weltweit rund 40% der bewachsenen Landoberfläche und speichert im Boden darunter fast 50 % mehr Kohlenstoff als Waldböden. Grasenden Wiederkäuern gelingt es, aus dem für Menschen unverdaulichen Gras wertvolle Fette und Proteine aufzubauen und gleichzeitig Mist zu produzieren, der als Dünger am Feld die Erträge sichert.

Das Problem ist: Die industrielle Landwirtschaft hat sich weit von diesem System entfernt. Mit hohem Aufwand an fossiler Energie wird synthetischer Dünger hergestellt, auf Ackerflächen ausgebracht und Getreide, Mais und Soja dann für die Fütterung eingesetzt. Dieses System ist mit hohem Tierleid und Umweltzerstörung verbunden. Daher ist wie oben betont klar: Eine Umorientierung in der Landwirtschaft und beim Fleischkonsum ist dringend nötig, da eine auf natürlichen Kreisläufen basierende agrarökologische Landwirtschaft eine wesentlich geringere Menge an Milch und Fleisch herstellen kann. Es müssen neue Methoden mit viehlosem Acker- und Gartenbau entwickelt werden. Aus einer globalen Perspektive sind Tiere jedoch ein wesentlicher Bestandteil eines nachhaltigen und ökologischen landwirtschaftlichen Kreislaufs. Wir versuchen daher, die grundsätzliche Umorientierung zu betonen, ohne jedoch nur auf Veganismus zu setzen.

 

Textauszug mit freundlicher Genehmigung des oekom Verlages aus „Zukunft für alle“ von Kai Kuhnhenn, Anne Pinnow, Matthias Schmelzer u.a..

Siehe auch unter „Wortwelten“ auf S. 69.


2020


August - Dezember 2020


Unsere Welt neu denken


© Gerd Altmann – pixabay.com
© Gerd Altmann – pixabay.com

Autorin: Maja Göpel

 

»Mitte des 20. Jahrhunderts erfahren die Menschen zum ersten Mal, wie ihr Planet aus dem All aussieht.  Vielleicht werden künftige Historiker einmal zu der Einsicht gelangen, daß dieser Anblick unser Bewußtsein grundlegender veränderte, als es selbst der – das menschliche Denken zutiefst erschütternden – kopernikanischen Revolution des 16. Jahrhunderts durch das Verbannen der Erde aus dem Mittelpunkt der Welt gelungen war.«

Aus dem »Brundtland-Bericht« der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen

 

London, Oktober 2019. In der morgendlichen Rushhour klettern zwei Männer auf das Dach einer U-Bahn, sodass diese den Bahnhof nicht mehr verlassen kann. Die Pendler*innen, die mit dem Zug zur Arbeit fahren wollen, stehen vor verschlossenen Waggons. Da die Aktion bald den ganzen Betrieb lahmlegt, wird es auf dem Bahnsteig enger und lauter. Während die Leute langsam verärgert realisieren, dass sie zu spät kommen werden, entrollen die Männer auf dem Zugdach ein Transparent, auf dem steht: »Business as usual = Death«, was so viel heißt wie: Weitermachen wie bisher bedeutet den Tod. Im Fall der Pendler*innen hätte weitermachen wie bisher bedeutet, zur Arbeit zu gehen. In ein Büro etwa oder in eine Fabrik. Sich an einen Computer zu setzen, in eine Konferenz, an eine Maschine, etwas herzustellen oder in Auftrag zu geben. Umsatz und Gewinn zu steigern, zum Wachstum beizutragen, den eigenen Job, die eigene Existenz zu sichern. Um Miete zu zahlen, Kredite zu bedienen und den Kindern und sich etwas kaufen zu können. Kurz: weiterzumachen mit dem Leben, wie Sie, wie wir alle es kennen und gewohnt sind. Was kann daran falsch, ja sogar tödlich sein?

 

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April - August 2020


Handeln: Nicht-Handeln?

Bild: © ejaugsburg auf www.pixabay.com
Bild: © ejaugsburg auf www.pixabay.com

Autor: Manfred Folkers

 

Sollten wir unsere Lust am Neuen einmal vergessen oder versuchen, gar ohne auskommen zu wollen, sind schnell jede Menge pfiffiger Werber und Vermarkter, Investoren und Politiker zur Stelle, um uns wieder daran zu erinnern. Um uns – in ganz einfachen Worten – dazu zu bringen, von dem Geld, das wir nicht haben, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, um bei Leuten, die uns eigentlich egal sind, Eindruck zu hinterlassen, der nicht anhält.

Tim Jackson

 

Bild Ein ethisch geprägter Umgang mit Sprache ist das Ergebnis einer geistigen Erneuerung, die angesichts der immensen Beharrungskraft von Gewohnheiten unumgänglich scheint, wenn ein Umschwung gelingen soll. Dennoch führt erst ein konkretes Handeln zu einer  veränderten Lebensgestaltung. Der perspektivisch zerstörerische Ist-Zustand unseres Handelns wurde bereits ausführlich beschrieben. Ihm ist nur dann auf heilsame Weise zu entkommen, wenn sich viele einzelne Menschen entschließen, ihr Alltagsverhalten zu überprüfen, es neu auszurichten und entsprechend zu verwirklichen. Diese Transformation hat individuell zu erfolgen, da sich jeder Mensch in einer einzigartigen Lebenssituation befindet.

So werden junge Menschen andere Optionen entwickeln als Alte, Reiche andere als Arme, Afrikaner andere als Asiatinnen, Männer andere als Frauen, Gesunde andere als Kranke. Aus diesem Grund ist es kaum möglich, konkrete Ratschläge zu geben, die von allen Menschen gleichermaßen umgesetzt werden können. Deshalb sind die wenigen nun folgenden Fragestellungen eher als Anregungen aufzufassen, mit deren Hilfe jeder und jede die passenden Schlussfolgerungen für das eigene Handeln ziehen kann. »Möchte ich ständig das Neueste besitzen (Auto, Handy, Mode …)? Wie viel Energie verbraucht meine Mobilität (Einkauf, Flüge, SUV, Hobbys)? Wie gehe ich mit Nahrungsmitteln um (im Restaurant, beim Kochen, im Geschäft) ? Ist meine Wohnung eigentlich zu groß ? Gehe ich achtsam mit Dingen um, die der Allgemeinheit gehören ? Ist mein Kontakt zur Nachbarschaft von gegenseitiger Hilfe geprägt ? Spreche ich mit anderen Menschen über mein und ihr Konsumverhalten, über Umweltkrisen, Genügsamkeit, Politik, Spiritualität etc. ?«

 

Viele selbstsüchtige und verschwenderische Gepflogenheiten werden beflügelt von einer Ideologie, die sich am besten mit dem Begriff »Hyper-Individualismus« überschreiben lässt. Das an sich selbstverständliche Ziel einer persönlichen Vervollkommnung hat sich – vor allem in begüterten Regionen – zu einer Orientierung verdreht, die den Fokus auf den materiellen Aspekt lenkt und irrigerweise davon ausgeht, dass sich Selbstverwirklichung, Glück und Harmonie auf diese Weise erhöhen lassen. Das Motto »Alle denken an sich – nur ich denke an mich !« soll dann nicht nur Vereinzelung und Isolation rechtfertigen. Mit dieser These kann auch verschleiert werden, dass ein derartiger Eigensinn, der manchmal sogar mit »Freiheit« verwechselt wird, nur auf Kosten anderer Menschen und der Mitwelt angestrebt werden kann.

Allerdings praktizieren bereits überall auf der Erde viele Menschen ein solch anderes  Handeln. In einigen Regionen können sie dabei auf noch vorhandene Traditionen zurückgreifen, etwa auf Selbstversorgung in der Landwirtschaft, Nachbarschaftshilfe, Straßengemeinschaften, Selbsthilfegruppen, Genossenschaften, ehrenamtliches Engagement, Gewöhnung an einen niedrigen ökologischen Fußabdruck, eine Wertschätzung der Stille etc.

In den von Industrialisierung, Konsumismus und Selbstbezogenheit beherrschten Regionen ist diese Suche ungleich schwieriger, da hier viele dieser Traditionen verloren gegangen sind. Angesichts wachsender Umwelt-, Ressourcen- und sozialer Probleme bemühen sich jedoch immer mehr Menschen um eine Lebenshaltung, aus der konkrete Projekte entstehen können, die sich als naturschonend und zukunftsfähig erweisen. Obwohl sie zum Teil ein Nischendasein führen, verdienen diese Experimente eigentlich mehr als eine kurze Erwähnung, denn sie ermöglichen einen Blick in die Nachwendezeit: Gemeinschafts-siedlungen; Tiny Houses; Sharing- und Reparaturgruppen; Mehrgenerationenhäuser; Ökodörfer; biologische und solidarische Landwirtschaft; regionale Versorgung; Gebrauchtwaren- und Verschenkmärkte; Lebensmitteltafeln; Transition-Town-Gruppen ; vegetarische und vegane Ernährung und vieles mehr. 

Hierzu gehören auch meditative, also eher direkt »auf den Geist gehende« Praktiken wie Yoga, Taijiquan, Qigong, Sitzmeditation. Viele weitere Initiativen, Projekte und Ideen sind in einigen der in den Literaturanregungen gelisteten Bücher enthalten.

 

Eine wichtige Motivation für diese Neuerungen ist der Versuch, hinsichtlich Besitz, Freiheit, Persönlichkeitsbildung und Zufriedenheit herauszufinden, was »genug« heißt oder ist. Für die Durchführung eines gesellschaftlichen Wandels ergibt sich daraus unter anderem die Konsequenz, einige Tätigkeiten einfach zu unterlassen. Diese Haltung führt keineswegs zum Stillstand, sondern zu einer Rückbesinnung auf das doppelte Mögen und einer Art absichtslosem, quasi nicht-eingreifendem Tun. Dieses »Handeln durch Nicht-Handeln« (in der chinesischen Kultur als »Wuwei« bezeichnet) enthält den Versuch, die Natur und die Zukunft ungestört wirken zu lassen und ihnen eine Stimme zu geben. Allein das Wissen, dass es für jeden Menschen in jedem Augenblick die Option »Nicht-Handeln« gibt, sollte nicht unterschätzt werden. Wenn Verlangen, Eile und Spontanität keine Rolle mehr spielen, zeigen sich mit dieser Einstellung eine Menge Lösungen wie von selbst. Besonders prägnante Hinweise haben bereits vor 25 Jahren Maria Mies und Vandana Shiva in ihrem Buch ökofeminismus formuliert:

 

Eine neue Definition von ›gutem Leben‹ wird nicht einfach Verzicht predigen, sondern die Werte hervorheben, die in unserer Konsum- und Leistungsgesellschaft auf der Strecke bleiben, z. B. Kooperation statt Konkurrenz, (…), Selbstversorgung (self-sufficiency) anstatt Abhängigkeit von externen Märkten, Absage an Ausbeutung und Kolonisierung als Grundlage für eigene Vorteile, Gesellschaftlichkeit statt Verfolgung privater und egoistischer Einzelinteressen, Kreativität, Souveränität und Würde statt dauerndes ›Schielen nach oben‹, Befriedigung in der eigenen Arbeit statt imitativem und kompensatorischem Konsum und, statt eines stets steigenden quantitativem (?) Lebensstandards, Lebensfreude und Glück, die aus der Zusammenarbeit mit anderen und einer sinnvollen Tätigkeit entspringen.

 

Buddha hat in dieser Hinsicht einen »Mittleren Weg« propagiert: weder an Sinnesfreuden anhaften noch sich selbst quälen; weder Luxus noch Askese, sondern die Versöhnung von Gegensätzen und Gleichmut anstreben. Er traute jedem Menschen zu, Verantwortung für sich und das gesamte Leben um sich herum zu übernehmen. Hinsichtlich der geschilderten Probleme bedeutet dies: Alle haben sich an die eigene Nase zu fassen. Alle haben einen Anteil beizutragen. Jeder und jede ist wichtig. Weil jeder einzelne Mensch ein Teil der Probleme ist, ist er auch ein Teil der Lösungen.

Dabei darf allerdings nie vergessen werden, dass ein Kollaps droht, wenn nicht rechtzeitig eine Wende durchgeführt wird. Wenn sie zu spät erfolgt, wird sie der Menschheit ohne eigene Einflussmöglichkeiten verordnet. Noch ist es jedoch möglich, dass diese Veränderungen aus Motiven heraus entstehen, die eigene Überlegungen und Entscheidungen enthalten.

 

Textauszug mit freundlicher Genehmigung des oekom-Verlages aus „All you need is less“ von Manfred Folkers und Niko Paech, 2020.

Siehe auch bei „Wortwelten“.

 


Wildbienenhelfer - Die Gewöhnliche Löcherbiene Osmia (Heriades) truncorum

Foto: © Anja Eder
Foto: © Anja Eder

Flugzeit: Juni-Oktober / Vorkommen: häufig / Größe: 6-8 mm

Blütenbesuch: spezialisiert / Osmia-Arten 67: D: 64 / A: 55 / CH: 57

 

Erkennungsmerkmale:

Männchen: Körper schwarz / wenig weiß behaart / hintere Tergitränder mit weißen, feinen Endbinden / Bauchbürste rötlichgelb / Mandibeln (Kieferzange) breit und innen ausgebuchtet wie das Weibchen, aber nur sechs Hinter-leibsegmente / Hinterleib am Ende nach unten eingekrümmt / Gesicht weiß behaart

Lebensraum:

Gärten / Parks / Waldränder / Wälder

Lebensweise:

nistet in vorhandenen Hohlräumen / Käferfraßgänge in Totholz / hohle Stängel / Nisthilfen

Kuckucksbiene:

Düsterbiene Stelis breviuscula, Keulenwespe Sapygina decemguttata

Blütenvorliebe:

spezialisiert auf Korbblütler

Foto: © Anja Eder
Foto: © Anja Eder

Foto: © Anja Eder
Foto: © Anja Eder

Alant, Distel, Flockenblume, Goldrute, Greiskraut, Kamille, Margerite, Prachtscharte, Rainfarn, Ringelblume, Schafgarbe, Sonnenhut, Wasserdost, Wegwarte und viele mehr. Die Zahl der Korbblütler ist sehr groß, so auch das potenzielle Nahrungsangebot für die kleine Löcherbiene. Viele dieser Pflanzen sind ein- bis zweijährig, andere krautig ausdauernd.

 

 

Eine typische Körperbewegung des Weibchens ist das nervös wippende Auf- und Abbewegen des Hinterleibes. Dieses Wippen führt zu einer direkten Pollenaufnahme in die Bauchbürste. Das Männchen trägt ein hell behaartes Gesicht. Das Weibchen besitzt auffällig große Kieferzangen. Der vordere Rand des Clypeus (zwischen den beiden Zangen) ist  gerade abgeflacht.

Dieser Textauszug stammt aus dem wunderschönen Buch „Wildbienenhelfer“ von Anja Eder aus dem Tipp 4-Verlag (vielen Dank!), das wir schon vor einiger Zeit einmal vorgestellt hatten, das aber an Aktualität eher noch gewonnen hat. Das Wildbienenhelfer-Buch macht jeden - der will - zum Wildbienenhelfer. Es führt, nach Monaten gegliedert, durch die Wildbienensaison und zeigt anschaulich, welche Pflanzen Nahrung bieten und welche Wildbienen unterwegs sind. Jeder, der einen Garten, Balkon oder andere Pflanzmöglichkeiten hat, kann gezielt das Nahrungsangebot für die bedrohten Insekten verbessern. Das Buch schärft den Blick auf die teilweise recht unscheinbaren Wildbienenarten und auf unsere heimischen Blühpflanzen.


Der Igel: beliebt und missverstanden – Zeit, dies zu ändern!

© NABU Andreas-Bobanac
© NABU Andreas-Bobanac

NABU-Tipps zur Artenvielfalt zuhause

 

Wohl kaum ein anderes Wildtier genießt eine so große Beliebtheit bei den Menschen in Europa wie der Igel. In Märchen wird ihm die Rolle des Schlauen, der letzten Endes den Hochmütigen besiegt, gegeben. In netten Geschichten und Comics ist er der Humorvolle und Weise. Und viele lieben ihn heiß und innig, sind entsetzt, ihn als Straßenopfer zu finden – aber manche lieben ihn sogar „zu sehr“, sodass mitunter übertriebene Tierliebe in Vermenschlichung umschlägt und den Tieren schadet.

 

Dass Igelschutz am besten durch Lebensraumschutz bewirkt werden kann, zeigt der NABU Niedersachsen auf, und appelliert an Gartenbesitzer, „die Weichen zu stellen, damit dem Igel nachhaltig und mit Sachverstand geholfen werden kann“.

 

„Igel sind Wildtiere, das darf nie vergessen werden. Und sie stehen unter gesetzlichem Schutz“, sagt Rüdiger Wohlers vom NABU. Er hat in mehr als einem Vierteljahrhundert erlebt, dass der die Menschen anrührende Igel oft völlig missverstanden und sogar zum „Haustier“ erklärt wird – oftmals das Todesurteil für das Tier.

 

„Es gibt leider immer noch eine gewisse Einsammelmentalität, gerade im Herbst“, berichtet Wohlers. Doch der reinen „Einsammelei“ muss Einhalt geboten werden – übrigens auch, weil sie gegen Naturschutzrecht verstößt und in Tierquälerei übergehen kann. „Immer wieder erhielten wir Anrufe von gut meinenden Tierfreunden, die vermeintlich hilfsbedürftige Igel allerorten einsammelten oder dieses wollten – was wir zu verhindern wussten –, weil sie Angst hatten, die Tiere könnten den Winter nicht überstehen. Dies ist aber nur bei stark geschwächten oder stark untergewichtigen Tieren der Fall. Auf jeden Fall sollte dann immer ein Tierarzt das letzte Wort haben. Und es sollte eine anerkannte Igelstation einbezogen werden“, mahnt Rüdiger Wohlers. „Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeugen oft von Unverständnis oder sogar von Aggressivität, wenn die Tiere zu Unrecht aufgelesen worden sind und wir als NABU auf das Fehlverhalten hinweisen“, zeigt sich Wohlers bekümmert.

 

„Also: Igel sind Wildtiere!“, unterstreicht der NABU-Aktive. „Igel haben ein Nahrungsspektrum, das sich so gut wie ausschließlich aus tierischem Eiweiß erschließt: Auf ihrem Speiseplan stehen Schnecken in großer Zahl, Regenwürmer, Käfer, Raupen, Ameisen, anderes Kleingetier, aber auch schon mal ein Ei einer bodenbrütenden Vogelart oder Aas, da sind sie nicht wählerisch. Das bedeutet auch, dass nur ein naturnaher Garten ein echter ‚Igelgarten‘ sein kann“, sagt Wohlers: „Wer einen bürstenkurzen Rasen, viele versiegelte Flächen und immergrüne Exoten ohne ökologischen Wert als Hauptbestandteile seines Gartens hat, muss sich nicht wundern, wenn der Igel einen großen Bogen um ihn macht!“

 

Im Garten sollte Vielfalt angesagt sein: Dazu gehören heimische Sträucher, deren Laub auch im Herbst und Winter liegen bleiben darf, sodass sich darunter Insekten und andere Lebewesen aufhalten können, und das der Igel im Winter für sein Schlafnest nutzen kann. Auch Stauden, vielleicht eine „wilde Ecke“ aus Holz, Ästen und Laub, eine kleine Wasserstelle und auch eine Blühwiese sind nützlich – Hauptsache, es werden heimische Pflanzen eingebracht und auch die Nahrungstiere des Igels finden einen Lebensraum, der dann automatisch auch vielen anderen Tieren eine kleine „Arche Noah“ bietet, also beispielsweise Vögeln, Insekten und weiteren Kleinsäugern.

 

Um dem Igel über den Winter zu helfen – der Igel ist ein Säugetier, das in Winterschlaf verfällt, und zwar meist bis in den März oder April, in sehr kalten Frühjahren auch mitunter bis in den Mai hinein –, kann ihm leicht geholfen werden: Sehr gut bewährt hat sich der Bau einer so genannten „Igelburg“, die mit etwas Geschick aus Holz gebaut werden kann und dann mit Geäst und Laub überdeckt wird. Darin kann das Igelweibchen Im Sommer auch ihre Jungtiere zur Welt bringen. „Wichtig ist es, dafür einen trockenen Standort im Garten zu wählen, möglichst unter Sträuchern, nie ganz frei, und niemals in einer Senke, in der sich Regenwasser sammeln kann“, erklärt Rüdiger Wohlers. Gut geeignete Igelburgen gibt es für alle, die diese nicht selbst basteln wollen, auch im Fachhandel; besonders gut geeignet und lange haltbar sind jene aus witterungsbeständigem Holzbeton. Die Igel tragen als Material gern selbst trockene Gräser ein.

 

„In den letzten Jahren werden immer später Jungigelwürfe festgestellt, oft bis in den Frühherbst hinein“, berichtet Wohlers, „sodass diese auch wesentlich länger zu sehen sind, oft bis in den November, und sich dann noch Fettreserven für den Winter anfressen müssen. Diesen Tieren kann durch artgerechte Zufütterung geholfen werden – aber es darf niemals Milch gereicht werden, da diese aufgrund der Laktoseunverträglichkeit für den Igel tödlich wirken kann!“

 

Igel haben sich immer mehr in den Siedlungsraum des Menschen, in Dörfer und Städte aufgemacht. „Eine Folge der großenteils katastrophalen Ausräumung unserer Agrarlandschaft“, sagt Rüdiger Wohlers, „in der Feldgehölze, Brachen und artenreiche Wegränder fehlen, der Acker bis zum letzten Zentimeter ausgenutzt wird und es weder Nahrung noch Unterschlupf für Tiere gibt“, erläutert der Naturschützer. Deshalb komme gerade den Ortsrändern und dem großen Potential der Gärten eine wachsende Rolle zu, was den Schutz des Igels betrifft, denn in weiten Teilen Europas gehen seine Bestände seit Jahren drastisch zurück: „Aus dem Allerweltstier wird eine Seltenheit!“, mahnt Wohlers, „in einigen Bundesländern hat er es bereits in die Vorwarnliste der gefährdeten Arten geschafft – ein traurige Entwicklung, die wir durch unseren Einsatz für Igel im naturnahen Garten zwar nicht beenden, aber zumindest ein Stück weit abfedern können!“

 

Der NABU-Aktive macht zudem auf weitere Gefahren für den Igel aufmerksam: „Neben dem Straßenverkehr, in dem viele tausend Igel ihr Leben lassen, können es auch Gefahrenquellen am Haus und im Garten sein. Dazu zählen etwa der steilkantige Teich, aus dem es keinen Ausstieg gibt und in dem der Igel, aber auch andere Tiere wie Spitzmäuse ertrinken können, der offene Lüftungs- oder Kellerschacht, die offene Baugrube oder der Gullyschacht. Hier sollte Abhilfe geschaffen und mit Sorgfalt gearbeitet werden.“ Auch zu engmaschige Zäune können ihm zum Verhängnis werden, da sie Igel, wenn sie bis in den Boden abgesenkt sind, den Zugang zu Gärten versperren – verschenktes Potential eines kleinen „Igelparadieses“!

Der NABU hofft, dass der Liebe zum Igel möglichst viele Taten folgen. „Wir können im Garten und Kleingarten einiges in die Hand nehmen!“, sagt Rüdiger Wohlers, „aber auch in Schulgärten, Grünanlagen und Gewerbeflächen – wir müssen es nur wollen! Auch dort lässt sich Artenvielfalt einladen, für Igel und Co.!“

 

Für alle, die sich für den Igel einsetzen und mehr über seine spannende Lebensweise erfahren wollen, hat der NABU ein kleines Infopaket zusammengestellt, in dem auch Baupläne für eine „Igelburg“ und Pflanztipps für den naturnahen Garten enthalten sind. Es kann angefordert werden gegen Einsendung von 5 Euro beim NABU Niedersachsen, Stichwort „Igel“, Alleestr. 36, 30167 Hannover.

www.NABU-niedersachsen.de   

 


Winter 2020


Pflanzen in Hülle und Fülle

Jann Weidemann auf pixabay.com
Jann Weidemann auf pixabay.com

Autor: Dave Goulson

 

Der Winter ist ja eine Zeit der Planung für das neue Jahr, und so möchten wir Ihnen gerne ein überaus unterhaltsam-informatives Buch ans Herz legen, das sich mit Frage beschäftigt, wie wir im eigenen Garten die Welt retten könnten: Wildlife Gardening…ein Auszug:

 

Pflanzen in Hülle und Fülle

 

Über Jahrtausende lebten wir Menschen als Jäger und Sammler in kleinen Verbänden, wussten nichts von der Welt jenseits unseres Stammesgebiets, hatten nur mit dem zu tun, was wir sehen, anfassen und schmecken konnten. Wir ernteten Beeren und Nüsse, fingen Fische und Wild, später bauten wir auch Nutzpflanzen an. Die Erde war für uns eine Scheibe. Wir ahnten nichts von globalen Problemen wie Überbevölkerung, Umweltverschmutzung oder Klimawandel, und wahrscheinlich versuchten wir auch nicht, zehn Jahre im Voraus zu planen. Vielleicht sind deshalb unsere Gehirne nicht besonders gut darin, komplexe Probleme zu erfassen, schwerwiegende globale Veränderungen zu begreifen und darauf zu reagieren, wenn ihre Auswirkungen sich erst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten zeigen. In Sachen Planung für das langfristige Wohlergehen unseres Planeten hält sich unsere Erfolgsbilanz also ziemlich in Grenzen. 

 

Selbst heute im 21. Jahrhundert und obwohl wir vom Universum inzwischen sehr viel mehr wissen, sprengen die großen Probleme, die vor uns stehen, offenbar unseren persönlichen Rahmen, sind unlösbar, ja unangreifbar. Alles, was ich persönlich vielleicht unternehmen kann, um den Klimawandel zu verhindern, die Rodung des Regenwalds aufzuhalten oder die wegen der angeblichen medizinischen Wirkung ihrer Hörner betriebene Nashornjagd zu stoppen, wirkt trivial und ineffizient. Als Umweltschützer fühlt man sich da leicht einmal hilflos, mutlos. Meine persönliche Motivation, trotzdem weiterzukämpfen, schöpfe ich seit jeher aus den kleinen Siegen, die ich in meinem eigenen Garten erringe, denn auf diesem kleinen Stückchen Erde bestimme ich; es ist klein genug, dass mein Gehirn es erfassen kann, und da kann ich alles richtig machen. Nach einem manchmal mühseligen Tag in meinem Uni-Büro, zum Beispiel mit einer endlosen E-Mail-Schlacht, mit der sich anscheinend die meisten von uns herumschlagen, statt etwas wirklich Sinnvolles zu leisten, ist es für mich unglaublich inspirierend und eine echte Freude, in meinen Garten zu gehen und mir die Hände schmutzig zu machen. Ich säe, ziehe Pflänzchen, gieße, mulche, jäte, ernte, kompostiere und arbeite mit dem Kreislauf der Jahreszeiten. Für mich ist der Maßstab am besten, in dem ich die Ergebnisse meiner Handlungen sehen und anfassen kann. Für mich beginnt die Rettung des Planeten mit der Pflege meines eigenen Stückchens Boden. 

 

Seit ich mit neunzehn von zu Hause weggegangen bin, hatte ich in dreißig Jahren sechs verschiedene Gärten; ausgehend von einem handtuchgroßen Rechteck hinter einem potthässlichen Betonkasten, einer ehemaligen Sozialwohnung in Didcot, bin ich inzwischen aufgestiegen zu meinen aktuellen leicht ungepflegten, aber herrlichen 8000 Quadratmetern im Hügelland von East Sussex. Jeder meiner sechs Gärten war ganz anders, was Boden, Aussehen und die ererbten Pflanzen angeht, aber jedes Mal habe ich, zunehmend bewusster, versucht, ihn sachte so umzugestalten, dass er möglichst vielen natürlichen Arten Raum gibt. Besonders versuche ich Bienen, Hummeln und andere Bestäuber zu fördern, indem ich ihnen Futter zur Verfügung stelle, und, wo immer es geht, ein paar ruhige Stellen zum Nisten, Fortpflanzen oder Überwintern.

 

Naturgärtnern ist ganz einfach. Die Pflanzen wachsen von selbst, und Bienen und Schmetterlinge finden die Blüten alleine. Es kommen Pflanzenfresser, Schnecken, Rüsselkäfer, Blattkäfer und Raupen und mit ihnen auch ihre Räuber. Wenn man einen Teich gräbt, stellen sich wie durch ein Wunder spontan reihenweise Pflanzen, Insekten und Amphibien ein, irgendwie müssen sie das unbeanspruchte Wasser über Meilen hinweg riechen. Für ein erfolgreiches Naturgärtnern ist das, was man nicht tut, genauso wichtig wie das, was man tut. Das heißt nicht, dass ein Naturgarten ein völliges Chaos sein muss. Viele stellen sich einen Naturgarten als ein wildes Durcheinander von Brombeergestrüpp, Brennnesseln und Löwenzahn vor; und es stimmt auch, dass so ein Laissez-faire-Garten sehr viele natürliche Bewohner anlockt. Genauso gut kann man aber einen gepflegten, hübschen Garten haben, der von Leben nur so brummt (wobei Gepflegtheit natürlich tendenziell etwas mehr Arbeit erfordert). Ob gepflegt oder ungepflegt, ob ein winziger Hinterhof oder hektarweise grünes Hügelland: Wahrscheinlich ist Ihr Garten längst Heimat von Hunderten oder gar Tausenden wilden Tier- und Pflanzenarten.

 

Wie viel natürliches Leben sich in einem Garten findet, wurde, soweit ich weiß, wirklich gründlich nur einmal quantifiziert, und zwar am Stadtrand von Leicester. Mein Doktorvater war ein reizender, kettenrauchender Gauner namens Denis Owen, Spezialist für tropische Schmetterlinge und Ex-Mann von Jennifer Owen, die später eine der größten Heldinnen des Wildlife Gardenings werden sollte. Jennifer erstellte ab den 1970er-Jahren über Jahrzehnte einen Katalog der Artenvielfalt in ihrem kleinen Garten in Leicester. Eigentlich war es ein ganz gewöhnlicher Garten, allerdings verwendete sie keine Pestizide. Es gab Beete, ein Stück Rasen, einen oder zwei Bäume und ein Gemüsebeet, insgesamt 700 Quadratmeter. In diesem kleinen Garten hatte sie eine Lichtfalle für Nachtfalter, Fallgruben für krabbelnde Insekten und eine sogenannte Malaise-Falle für Fluginsekten. Ebenso penibel katalogisierte sie die Pflanzenwelt und sämtliche Vögel oder Säugetiere, die sie besuchten. In fleißigen 35 Jahren identifizierte sie nicht weniger als 2673 unterschiedliche Arten, darunter 474 Pflanzen, 1997 Insekten, 138 andere Wirbellose (Spinnen, Hundertfüßer, Schnecken usw.) und 64 Wirbeltiere (überwiegend Vögel). Noch beeindruckender ist, dass Jennifer schon fast genauso lang mit Multipler Sklerose kämpft; leider musste inzwischen ein Großteil ihres Gartens gepflastert werden, damit er für ihren Rollstuhl und Fahrzeuge passierbar ist. Trotzdem, sagt sie, gibt es dort immer noch eine ziemliche Artenvielfalt. 

 

Grundlage eines Naturgartens sind natürlich die Pflanzen; sie stehen ganz unten in der Nahrungskette, sind die Füße, auf denen alles andere aufbaut. Die mikroskopisch kleinen grünen Chloroplasten in Pflanzenblättern fangen die Energie auf, die eine Kugel aus brennendem Wasserstoff ein paar Hundert Millionen Kilometer entfernt im Weltall abgibt. Diese Energie speichern sie in atomaren Verbindungen, als chemische Energie, zunächst in Form von Zuckern, die dann in komplexe Kohlehydrate umgewandelt werden, vor allem Stärke und Zellulose. Die Energie, die in den Blättern, Stämmen und Wurzeln der Pflanzen gespeichert ist, geht dann auf die Raupen und Schnecken über, die ihre Blätter fressen, auf die Blattläuse, die ihren Saft saugen, und auf die Bienen und Schmetterlinge, die den zuckrigen Nektar ihrer Blüten trinken. Diese Tiere werden dann von Drosseln, Blaumeisen, Spitzmäusen und Fliegenschnäppern gefressen, die selbst wiederum die Nahrung für Sperber oder Eulen darstellen. Alles vom leisen Quaken einer Kröte im Gartenteich bis zum Kreisen eines Turmfalken in luftiger Höhe wird letztlich vom Licht dieser fernen Sonne angetrieben. Wenn man zu viel darüber nachdenkt, kommt es einem vor wie ein absurd unwahrscheinliches, wackeliges Konstrukt. 

 

Jede Tierart, die sich von Pflanzen ernährt, hat in der Regel eine Vorliebe für eine bestimmte Pflanzenart und häufig sogar für bestimmte Teile dieser Pflanze. Die Ilexminierfliege etwa verbringt ihre gesamte Entwicklung – also etwas weniger als ein Jahr – unter der Oberhaut eines Ilexblattes. Dort gräbt sie einen typischen bräunlichen Gang und schlüpft schließlich zum Ende des Frühlings als winzige gelbliche Fliege. Man findet sie nie auf anderen Pflanzenarten oder an anderen Stellen eines Ilex-Buschs. Die Raupen des Aurorafalters fressen am liebsten die Schoten vom Wiesenschaumkraut und lassen sich zur Not auch auf die von Knoblauch oder Weg-Rauke ein, verschmähen aber die meisten anderen Kreuzblütler und können sich etwas anderes gar nicht vorstellen. 284 verschiedene Insekten ernähren sich von je einem bestimmten Teil einer Eiche; Gallwespen, Schildläuse, Blattläuse, Nachtfalter- und Schmetterlingsraupen, Schaumzikaden, Rüsselkäfer, Bockkäfer und viele mehr. Jedes Insekt ist dabei meist auf einen bestimmten Pflanzenteil als Nahrung spezialisiert, und auf einen bestimmten Zeitpunkt im Jahr – die Energievorräte, die der Baum anlegt, werden so auf Unmengen winziger Tierchen aufgeteilt. Die Raupen des Blauen Eichen-Zipfelfalters graben sich im Frühling in die Knospen hoch oben in den Wipfeln, während die des Eichenwicklers in Röhren leben, die sie aus älteren Blättern wickeln und mit Seide zusammenkleben. Unterdessen graben sich die Larven des Eichelbohrers still und leise ihre Tunnels durch die Eicheln. So gehen die Insekten dem Wettbewerb untereinander weitgehend aus dem Weg, weil jedes seine eigene kleine Nische besetzt.

 

Textauszug mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlages aus Dave Goulson, Wildlife Gardening. Die Kunst, im eigenen Garten die Welt zu retten. Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke, mit Illustrationen von Nils Hoff, © 2019 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München


Die Würde des Lebens ist unantastbar

seji hwang auf pixabay.com
seji hwang auf pixabay.com

Autor: Claus Eurich

 

 

In der modernen Welt hat sich der Mensch ins Zentrum allen Geschehens gerückt. Er ist sich selbst der einzige und letzte Maßstab geworden. Der technische Fortschritt und der teilweise unermessliche Reichtum wurden mit der schonungslosen Ausbeutung der Lebensgrundlagen und der natürlichen Ressourcen bezahlt. Das nichtmenschliche Leben geriet in diesem Prozess zur reinen Verfügungsmasse für menschliche Konsumbedürfnisse und den Ruf nach immer mehr. So hat ein gewaltiges Artensterben begonnen.

 

Die großen Verfassungen auf dieser Erde haben dies befördert. Dies gilt auch für das ansonsten großartige Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Der Mensch alleine ist hier Ausgangs- und Zielpunkt der Orientierung. Würde kommt alleine ihm zu. Einklagbare Rechte werden im Wesentlichen nur ihm zugesprochen. Seine Vermehrung und seine Bedürfnisse stehen außer Frage.

 

Heute sehen wir nicht nur, sondern wir beginnen zu spüren, welche Folgen diese Selbstbezüglichkeit hat. Nicht nur der Mensch, das Leben an sich auf diesem Planeten steht am Scheideweg. Früh hat der Urwaldarzt, Philosoph und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer diese verheerende Entwicklung erkannt und ihr eine Ethik des Lebens gegenübergestellt. Sie respektiert, dass der Mensch Leben ist, das leben will - aber eben immer inmitten von vielfältigem Leben, das gleichfalls leben will. Die Verantwortung und Aufgabe des Menschen und der Menschheit insgesamt ist es danach, Leben zu fördern, zu bewahren und zu pflegen. Dieser Dienst am Leben ist zugleich der größte Dienst, den der Mensch sich selber leisten kann. Denn nur dann wird er im Netzwerk des Seins überdauern. Das setzt allerdings voraus, dass wir Menschen uns zunächst unserer eigenen Würde und der eines jeden Menschenwesens wahrhaft bewusst werden, diese in Tiefe respektieren und sie leben.

 

Menschenrechte rücken durch die Lebensrechte also nicht in die zweite Reihe, sondern erhalten eine noch größere, und den Menschen überstrahlende Tiefe. Wir plädieren deshalb dafür, der Präambel des Grundgesetzes einen neuen und vertieften Ausgangspunkt zu geben. Statt: Die Würde des Menschen ist unantastbar soll es zukünftig lauten:

Die Würde des Lebens ist unantastbar!

 

Prof. Dr. Claus Eurich ist Philosoph, Publizist, Kontemplationslehrer, Professor für Kommunikation und Ethik.

Zum Blog: http://www.interbeing.de/blog-aktuelles/